Willkommen in Detroit, Michigan
Der Ruf der „Motor City“ eilt Detroit weit voraus. Auf den kometenhaften Aufstieg zu einer der größten und wohlhabendsten Städte des Landes durch den Automobilboom in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts folgte ein ebenso dramatischer Absturz. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Stadt, die uns den Motown-Sound und Techno beschert hat, gleich mehrfach neu erfunden. Das Motto der Stunde heißt Kreativität. Detroit entwickelt sich immer mehr zu einem Hotspot für Underground-Künstler, Nachtschwärmer, Startups und Innovationsträger sowie für städtische Farmen und kulinarische Experimente, die im ganzen Land Aufsehen erregen. Die Stadt steht zu ihrem Arbeiterethos, übt mit ihrer kompromisslosen Unabhängigkeit, der übersprudelnden Kreativität und dem unverhohlen rebellischen Charakter aber auch eine magische Anziehungskraft auf Außenseiter mit kühnen Ideen sowie auf Einheimische aus, die in der Ferne ihr Glück gesucht haben und nun zu ihren Wurzeln zurückkehren. Wir haben die Einheimischen zu ihren besten Tipps für Besucher befragt. Hier sind ihre Vorschläge:
Auf den Spuren der Klassiker
Detroit ist der Geburtsort des unverwechselbaren Motown-Sounds. Das Motown Museum („Hitsville U.S.A.“) widmet sich der Geschichte dieses durch und durch amerikanischen Musikgenres. Unzählige Musikfans pilgern jedes Jahr in das kleine Studio, in dem die Karriere von Stars wie den Temptations oder den Supremes begonnen hat. Den besten Eindruck von der örtlichen Bluesszene bekommt ihr nach Ansicht der Einheimischen in der Raven Lounge. Neben fantastischer Livemusik (immer donnerstags bis samstags) erwarten euch hier das freundliche Ambiente einer Nachbarschaftskneipe und himmlische Macaroni n’ Cheese. Das Raven ist ein bisschen so wie Detroit selbst: bescheiden und deshalb oft unterschätzt. Deutlich alternativer und linker – musikalisch gesprochen – geht es im Old Miami zu. Die renommierte Bar hat schon Größen wie Iggy Pop, die White Stripes und Patty Smith auf die Bühne geholt. Die Einheimischen schwärmen vom überraschend verträumten Garten hinter der Bar. Der Koiteich steht im schroffen Gegensatz zu den wummernden Bässen und dem knalligen Graffiti an den Toilettenwänden, die natürlich in keiner Punkrockkneipe fehlen dürfen, die etwas auf sich hält.
House vom Feinsten
Die spannendsten Events Detroits spielen sich oft an unerwarteten Orten und im Verborgenen ab. Die Einheimischen sind sich einig: „Die Partyszene ist total abgefahren.“ Bevor ihr auf einer der legendären House-Partys die Nacht zum Tag macht, solltet ihr euch im PJ’s Lager House im Viertel Corktown stärken – am besten mit den vielleicht besten Zwiebelringen der Stadt. „Die Zwiebelringe sind immer früh ausverkauft. Es lohnt sich also, sie gleich zu Beginn zu bestellen.“ Als Alternative empfehlen die Einheimischen das mondäne Takoi. Neben den modernen thailändischen Spezialitäten – einer willkommenen Abwechslung zur örtlichen „Farm-to-Table“-Kultur – werden auch die DJ-Sets gelobt. Detroit ohne House-Musik wäre nicht Detroit. Jedes Jahr im Mai strömen Besucher aus aller Welt in die Stadt, um das riesige, mehrtägige Detroit Electronic Music Festival (auch bekannt als Movement) mitzuerleben und bei den wilden, unvergesslichen Afterpartys abzufeiern. Fans des Genres sollten sich auch das EXHIBIT 3000 vormerken – ein „geheimes Museum“ zur Geschichte der elektronischen Musik in Detroit.
Das neue Detroit
In Vierteln wie Corktown, Mexicantown, Eastern Market, Brush Park oder North End sowie rund um den Detroit Riverwalk habt ihr Gelegenheit, einen Blick in die Zukunft Detroits zu werfen. Hier sind alteingesessene Einwohner und begeisterte Neuankömmlinge eifrig dabei, dem Gesicht der Stadt einen neuen Anstrich zu geben. Von Streetart bis zu städtischen Farmen: Überall werden vernachlässigte Gebäude im viktorianischen oder Art-déco-Stil bzw. Lagerhallen aus den goldenen Tagen der Automobilära restauriert, renoviert und neuen Verwendungsformen zugeführt. Leer stehende Grundstücke verwandeln sich in Obst-, Gemüse- oder Blumengärten mit Gewächshäusern. Bestes Beispiel für diesen neuen Trend ist Rose’s Fine Food. Das Diner-Restaurant bringt es fertig, gleichzeitig hip und heimelig zu wirken. Auf der Karte stehen Klassiker wie nach Wunsch zubereitete Eier oder „Grandpa Richard’s Pancakes“ aus Zutaten von den umliegenden städtischen Farmen und mit einer eleganten, raffinierten Note (Stichwort: Beau Bien-Marmelade und Sauerrahmbutter).
Fleisch für Liebhaber
Authentische Barbecue-Ribs ohne Schnickschnack und sensationelle Garnelen gibt es im Vicki’s BBQ. (Ein Tipp der Einheimischen: Bestellt euch die Variante mit Soße!) Die Fleischgerichte im Lady of The House in Corktown haben bereits mehrere nationale Ehrungen eingeheimst. Das von einer Köchin geführte Restaurant wurde unter anderem mit dem James Beard Award für das beste neue Restaurant der USA ausgezeichnet. Auf den Teller kommen moderne amerikanische „Farm-to-Table“-Gerichte aus lokalen Zutaten mit skandinavischen, französischen, irischen und italienischen Elementen. Auch die ambitionierte „No Waste“-Politik des Restaurants ist typisch für Detroit und die anpackende Einstellung seiner Einwohner.
Überraschende Kunst
Detroits Kunstszene steckt voller Gegensätze und versteht es hervorragend, das städtische Umfeld für die eigenen Zwecke einzuspannen. Als Paradebeispiel dient The Heidelberg Project in Poletown East. Das Outdoor-Kunstprojekt hat sich hier auf zwei Straßenblocks „zwischen Fasanen und Wildtieren“ eine eigene künstlerische Realität aus Farbe, bunt zusammengewürfelten Fundstücken und Skulpturen geschaffen. Detroit hat aber nicht zur Streetart zu bieten. Lisa Spindler ist in Detroit berühmt für ihre „überraschende und fantastische“ Kunst – und dafür, selbst in einer alles andere als wohlhabenden Stadt Beträge von 10.000 USD und mehr für ihre Werke verlangen zu können. The Spindler Project ist ein riesiges, knapp 420 m² großes Loft mit Betonpfeilern und spektakulärem Licht, das die Künstlerin je nach Tageszeit als museumsähnlichen Wohnraum oder bewohntes Museum nutzt.
Jenseits des Mainstreams
Abseits der Kneipen und House-Partys mögen es die Detroiter gern nostalgisch. Im Apparatus Room des Foundation Hotels könnt ihr fein herausgeputzt an einem Cocktail nippen. Das behutsam restaurierte Restaurant mit riesigen Bogenfenstern befindet sich in einer ehemaligen Feuerwache und kann sich mit einem Koch rühmen, der mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet wurde und sich in Chicago einen Namen gemacht hat. Für den anschließenden Besuch in der Bad Luck Bar geben euch die Einheimischen die folgende Wegbeschreibung mit: „Der unscheinbare Eingang zu dieser sexy Bar liegt etwa auf halber Länge der kleinen Seitengasse.“ Wenn ihr es dann auf einen der 30 Sitzplätze in der schmalen Flüsterkneipe geschafft habt, solltet ihr euch den Golden Pineapple bestellen – einen aromatischen Cocktail im Stil einer Tikibar, der jeden Anflug von Winterdepression vertreibt. Danach lockt die adrette neue Bar Kiesling im Viertel Milwaukee Junction, die sich in einem 100 Jahre alten Gebäude mit prächtiger Einrichtung im Art-déco-Stil befindet. Probiert die Cocktails aus dem Zapfhahn oder eine der unwiderstehlichen exotischen saisonalen Kreationen aus Zutaten, von denen ihr wahrscheinlich noch nie gehört habt – Miso-Honig-Sirup, Avocado-Orgeat oder Cantaloupe-Gin. Behaltet dabei aber die Uhr im Auge, um rechtzeitig im Cafe d’Mongo’s Speakeasy zu sein. Dort werden um 2 Uhr morgens die Türen abgesperrt. Die Einheimischen wissen aber: „Wer dann drin ist, kann bleiben und der Dragqueen beim Singen zuhören.“