Die Craft-Cocktailszene in den USA

Was Craft-Cocktails von Standard-Drinks unterscheidet, ist der Fokus auf Kreativität und qualitativ hochwertige Zutaten wie frisch gepresste Säfte und hausgemachte Sirups, erklärt David Nepove, erfahrender Mixologe und ehemaliger Präsident der United States Bartenders’ Guild.

„Erstklassige Craft-Barmixer kennen die Geschichte des Cocktails in- und auswendig“, so Nepove. „Im Grunde geht es weniger darum, etwas völlig Neues zu kreieren, als darum, sich von den Klassikern inspirieren zu lassen.“

Wie im Schmelztiegel USA nicht anders zu erwarten, verwenden die Cocktail-Künstler für ihre Drinks Wodka, Rum, Tequila, Gin und viele andere Spirituousen und Liköre aus aller Welt. Wenn es aber eine „typisch amerikanische“ Spirituose gibt, dürfte das Bourbon sein – eine Whiskey-Variante, die vor allem im südöstlichen Bundesstaat Kentucky hergestellt wird und wichtiger Bestandteil des Old Fashioned ist (Bitter, Zucker, Wasser und Bourbon oder Rye Whiskey auf Eis). Für Nepove ist dieser Drink eine Art Lackmustest, der sofort zeigt, ob Barmixer ihr Fach verstehen oder nicht.

„Ob sich ein Barkeeper eingehend mit der Kunst des Cocktail-Mixens beschäftigt hat, zeigt sich an einem einfachen Drink wie dem Old Fashioned“, erläutert Nepove und ergänzt, dass „Fehler“ wie die Beigabe von Obst oder kohlensäurehaltigem Mineralwasser für ihn ein echtes No-Go sind. (Im ursprünglichen Rezept wird Obst nur zum Garnieren verwendet.) „Ein guter Old Fashioned ist auch Ausdruck von Respekt und Leidenschaft für die Klassiker.“

Auch bei Whiskey Sour, einem weiteren leckeren Klassiker, wird häufig zu Bourbon gegriffen. Nachtclubs, die quasi am Fließband große Mengen an Cocktails mixen, verwenden eventuell eine im Laden gekaufte sirupartige Sour-Mischung. Craft-Barkeeper, die etwas auf sich halten, so Nepove, bereiten den Drink aber stets mit frisch gepresstem Zitronensaft und echtem Zucker zu. Als Spezialvariante kann dann noch Eiweiß dazugegeben werden, ehe das Ganze mit Eis im Shaker geschüttelt und dann in eine Schaumweinschale abgeseiht wird.

Für erstklassige Cocktails in San Francisco, Kalifornien, empfiehlt Nepove Bars wie ABV, Trick Dog und Dirty Habit. Im ABV tragen die Barkeeper fast alle Bart und Flanellhemd. Auf der Cocktailkarte stehen unter anderem der aus Scotch zubereitete Whiskey in Church, der auf Gin-Basis gemixte Tarragon Collins (eine Variante des klassischen Tom Collins) und sogar frisch zubereitete Mocktails wie der alkoholfreie Pineapple Basil.

Einige Cocktails im ABV werden auch mit Mezcal zubereitet. Diese aus dem Fruchtfleisch von Agaven hergestellte mexikanische Spirituose ist in den USA zwar längst nicht so verbreitet wie Tequila, erfreut sich bei amerikanischen Craft-Barmixern aber seit einiger Zeit wachsender Beliebtheit. Nepove erläutert, dass Barkeeper gern Spirituosen wie Mezcal oder Sherry (ein verstärkter Weißwein) „wiederentdecken“ und sich davon zu neuen Rezepten inspirieren lassen. „Wenn wir eine Spirituose wiederentdecken und feststellen, dass sie sich für die Zubereitung von Cocktails eignet, eröffnen sich damit ganz neue kreative Möglichkeiten“, erklärt er.

Zu den Wahrzeichen der Craft-Cocktailszene in New York City, New York, gehören Bars wie Clover Club, The Dead Rabbit oder Employees Only. Das Employees Only, bekannt aus der Dokumentation „Hey Bartender“ von 2013, hat den Vibe einer Flüsterkneipe und ist für seinen herausragenden Service berühmt. Auf der Cocktail-Karte stehen Klassiker wie Manhattans und Martinis neben Spezialitäten des Hauses wie dem Billionaire Cocktail (Bourbon, frisch gepresster Zitronensaft, Grenadine und Absinth).

In der mondänen Bar The Violet Hour in Chicago, Illinois, werden innovative Drinks mit Popkultur-Referenzen garniert. Unter anderem wurde The Violet Hour mit dem James Beard Award for Outstanding Bar Program ausgezeichnet.

Nepove empfiehlt außerdem die erfindungsreichen Barkeeper im The Aviary: „Die Barmixer zaubern sagenhafte, kreative Cocktails und setzen dabei auf die allerneuesten Techniken.“ Für einen speziellen Drink, der einfach The Bitter heißt, fangen die Barkeeper im The Aviary etwa Rauch in einem Cocktailglas ein, indem sie eine Lötlampe an einen Untersetzer aus einer Bourbon-Fassdaube halten.

Ausgezeichnete Craft-Cocktails bekommt ihr auch im Anvil Bar & Refuge in Houston, Texas, im Fools & Horses in Portland, Oregon, und in Arnaud’s French 75 Bar in New Orleans, Louisiana.

Eine gute Craft-Bar erkennt ihr laut Nepove an den verwendeten Zutaten und daran, ob der Barkeeper auf die Kunden eingeht. „Ein guter Barkeeper erkundigt sich nach den persönlichen Vorlieben und danach, was ein Kunde normalerweise trinkt. Er fragt, ob der Gast in der Stimmung für Whiskey oder Rum ist, und stimmt seine Kreation dann entsprechend darauf ab“, so Nepove. „Ein guter Barkeeper bezieht den Gast in den Entscheidungsprozess mit ein und gibt jedem Kunden das Gefühl, willkommen zu sein.“

„Jede Stadt im Land hat eine gute Cocktailbar“, ergänzt er. „Man muss nur wissen, wie man sie findet.“